Ute Schünemann-Flake über den Weg von der Idee bis zum funktionierenden Netzwerk

Seit 1986 ist Ute Schünemann-Flake für die ZWAR-Idee im Einsatz. In mehr als 85 Kommunen in NRW haben sie und ihre Kolleginnen bereits erfolgreich ZWAR-Netzwerke gegründet. Im Interview erklärt die Beraterin des ZWAR e.V. den Weg von der ersten Idee bis zum selbstorganisierten Netzwerk.
Du berätst Kommunen beim Aufbau neuer ZWAR-Gruppen. Wer nimmt Kontakt zu dir auf?
Zumeist kontaktieren mich die Menschen, die in einer Kommune für Seniorenangelegenheiten zuständig sind, zum Beispiel das Seniorenbüro. Manchmal sind es auch engagierte Bürger, die ein ZWAR-Netzwerk aus einer anderen Stadt kennen und es sich für ihre Nachbarschaft wünschen. Einzelne Wohlfahrtsverbände sprechen mich ebenfalls an. Eine meiner ersten Fragen ist dann oft: Haben Sie schon mit den Zuständigen in Ihrer Stadtverwaltung gesprochen?
Wieso ist das wichtig?
Es muss eine politische Willensbekundung geben, damit in der Kommune ein ZWAR-Netzwerk gegründet werden kann. Die Kosten für unsere Beratungsleistungen, der postalische Versand der einzuladenden Bürgerinnen und Bürger der Zielgruppe, Räume für die Netzwerkgründungsveranstaltung sowie die Frage danach, wer das langlebige ZWAR-Netzwerk bis zu maximal einem Jahr auf dem Weg in die Selbständigkeit und Selbstorganisation begleitet, sind zu klären.
Von vornherein muss sichergestellt werden, dass es sich um ein trägerübergreifendes Konzept handelt – getragen im Verständnis von Kooperation statt Konkurrenz – von Kommune/Gemeinde und Wohlfahrtsverbänden. Die Unabhängigkeit des ZWAR-Netzwerks ist ein wichtiger Baustein.
Welchen Mehrwert bietet ein ZWAR-Netzwerk Kommunen?
Vielen Kommunen fällt auf: Wir erreichen mit unseren Angeboten nicht alle. In den kommenden Jahren scheiden fünf Millionen Menschen der Generation Babyboomer mehr aus dem Erwerbsleben aus als neu eintreten werden. Die sind oft noch fit, haben bestenfalls noch 30 Jahre vor sich und wollen diese gestalten. Viele von ihnen sind in ihrem Berufsleben umgezogen, haben unterbrochene Biographien, leben allein.
Sie sind auf der Suche nach neuen sozialen Kontakten und sinnstiftenden Tätigkeiten im persönlichen Nahraum. Sie bevorzugen selbstbestimmte und selbstorganisierte Formen des Engagements und sind zum Beispiel nicht seit 50 Jahren im selben Verein. In einer neuen ZWAR-Gruppe starten rund um den Ruhestand alle gemeinsam noch einmal neu und bilden durch gemeinsame Freizeitgestaltung und Projekte in ihrem Quartier, ihrem Stadtteil, Netze, die auch im hohen Alter tragen.
Von diesen Nachbarschaftsnetzwerken profitieren auch die Kommunen. Sie bedeuten soziale Vorsorge in Zeiten einer desolaten Pflegesituation. Es entstehen langlebige nachbarschaftliche Unterstützungspotenziale in Zeiten, in denen die Familie als wichtigste Ressource für Pflege und Betreuung nicht mehr oder zumindest nicht mehr allein trägt.
Nehmen wir an: Die Verantwortlichen sind überzeugt, das Geld wird bewilligt – was ist der nächste Schritt?
Die hauptamtliche Netzwerkbegleitung als mein Ansprechpartner vor Ort berate ich dann engmaschig in den anstehenden Prozessschritten. Ideal ist es, wenn sie durch die Teilnahme an unserem Seminartag „Startpaket“ zunächst auf ihre Rolle als Netzwerkbegleiterin vorbereitet wird.
Dann überlegen wir gemeinsam: Wer muss Bescheid wissen über das neue Netzwerk? Welche Akteure aus dem Stadtteil, in dem die neue Gruppe entstehen soll, sollten mit ins Boot geholt werden – Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Heimatverein usw. Die lädt die Stadt dann zu einem Multiplikatorentreffen ein, um über das Vorhaben zu informieren, Fragen zu beantworten, Vorbehalte zu zerstreuen und zu fragen, wer Räume für die verschiedenen Interessengruppen zur Verfügung stellen möchte.
Welche Vorbehalte begegnen dir vor Ort?
Konkurrenz ist das Hauptthema. „Ihr bietet ein unverbindliches Angebot – dann treten unsere Mitglieder aus“, das höre ich oft. Aber das ZWAR-Netzwerk soll eine Ergänzung bieten für die Menschen, die sich in selbstorganisierten Strukturen wohlfühlen und eine flotte Umsetzung ohne Hierarchien und Verpflichtungen wollen. Das heißt nicht, dass sie sich nicht zeitgleich ehrenamtlich engagieren oder im Verein aktiv sind.
Bei den Treffen der ZWARler erlebe ich oft, dass diese sich gegenseitig von ihrem ehrenamtlichen Engagement erzählen und sich dafür begeistern. Beispiel: Ein ZWARler, der in der Flüchtlingshilfe aktiv ist, erzählte, dass er die Flüchtlingsunterkunft streichen wolle. „Brauchst du noch Hilfe?“, fragten die anderen und waren dabei.
Die Vielfalt der möglichen ZWAR-Interessengruppen bietet außerdem vielerlei flexiblere Optionen als ein Verein. Wenn ich im Tennisverein bin, sollte ich Tennis spielen können. Aber was mache ich, wenn ich mir ein Bein breche oder aus anderen Gründen nicht mehr spielen kann? Dann falle ich vielleicht raus – bei ZWAR kann ich dann anderen Interessen nachgehen.
Wie geht es nach dem Multiplikatorentreffen weiter?
Im Verlauf des Beratungsprozesses und in Vorbereitung der Netzwerkgründungsveranstaltung mit den Bürgerinnen und Bürgern müssen ausreichend große Räume (z.B. Aula einer Schule mit 3-4 Kleingruppenräumen) gefunden werden. Etwa 3000 Einladungen werden an die Bewohner/innen eines Stadtteils etwa in der Altersgruppe 60 -75 Jahren postalisch verschickt. Über Öffentlichkeitsarbeit ergänzen wir, dass ALLE Bürger/innen, die sich in dem Quartier von der Idee angesprochen fühlen, herzlich eingeladen sind! In der Gründungsveranstaltung unter der Schirmherrschaft der Bürgermeister tauschen sich die Besucher dann zunächst über Erwartungen an den Ruhestand und erste Ideen zur gemeinsamen Freizeitgestaltung aus.
Bei den Basisgruppentreffen, die in der Regel zweimal im Monat stattfinden, werden dann die Termine festgezurrt, die Aktivitäten besprochen und Treffpunkte transparent gemacht, sodass jeder sich anschließen kann. Ich begleite den Prozess in der Regel bei den ersten beiden Basisgruppentreffen; die Netzwerkbegleitung vor Ort moderiert und unterstützt die Gruppe maximal ein Jahr lang. Sie zieht sich immer mehr zurück, damit der Übergang der Gruppe in die Selbstorganisation funktionieren kann. Das ist wichtig, damit ein langlebiges Netzwerk entsteht. Nach ein paar Monaten komme ich dann oft noch einmal zu einem erweiterten Basisgruppentreffen mit meiner Beratung hinzu.
Warum ist das sinnvoll?
Ich ermögliche durch meine Moderation, dass die ZWARler gemeinsam mit der Netzwerkbegleitung reflektieren können: Was läuft gut und was sollte verbessert werden, wie gestalten die anderen ZWAR-Gruppen den Übergang in die Selbständigkeit? Wie gelingt ein gutes Miteinander in Gruppen? usw. Wir besprechen Fragen, die im Laufe der Zeit entstehen können. Zum Beispiel: Wie können wir verhindern, dass Langeweile aufkommt? Wie beleben wir die Treffen, dass möglichst viele Interesse haben? Manche Gruppen laden Referenten zu ihnen wichtigen Themen ein und diskutieren darüber.
Wichtig ist: Die Basisgruppentreffen sind der Kitt der Gruppe. WhatsApp-Gruppen sind schön und gut für die Organisation, aber wenn die Menschen sich nicht mehr bei den Basisgruppentreffen sehen und sich austauschen – über Ideen, Treffpunkte oder auch Probleme – stirbt die Gruppe. Deswegen ist es so wichtig, diese Treffen lebendig zu halten.